Unternehmensappell zur Bildung einer neuen Bundesregierung, veröffentlicht am 11.10.2021
Der Klimawandel ist für uns alle spürbar. Der jüngste Bericht des Weltklimarats (IPCC) stellt unmissverständlich klar, dass wir keine Zeit mehr verlieren dürfen, um der Erderwärmung entschlossen entgegenzutreten. Wir brauchen deshalb jetzt sektorübergreifend eine ambitionierte Klimapolitik, die den Zielen des Pariser Klimaschutzabkommens gerecht wird und für Unternehmen und Gesellschaft einen klaren, verlässlichen und planbaren Pfad zur Klimaneutralität aufzeigt.
Viele Unternehmen in Deutschland haben verstanden, dass jetzt gehandelt werden muss und sich auf den Weg gemacht: Sie reduzieren ihre Emissionen, verankern in ihren Zukunftsstrategien konkrete Zielsetzungen, realisieren innovative Projekte und investieren in klimafreundliche Technologien. Die Wirtschaft steht bereit, um Klimaschutz zum Geschäftsmodell und Klimaneutralität zum international beachteten und exportfähigen Markenzeichen des Wirtschaftsstandorts Deutschland zu machen.
Damit die Transformation Deutschlands zum klimaneutralen Industrieland bis 2045 gelingt und das Ziel einer Reduktion der Emissionen um 65% bis 2030 im Vergleich zu 1990 erreicht wird, brauchen Unternehmen jedoch unbedingt politische Rahmenbedingungen, die klimafreundliche Technologien wirtschaftlich machen, nachhaltige Geschäftsmodelle fördern und langfristige Planungssicherheit bieten.
Die neue Bundesregierung muss daher vom ersten Tag der neuen Legislaturperiode an die Weichen dafür stellen. Jetzt ist die Zeit für mutiges und entschlossenes Handeln!
Eine Umsetzungsoffensive für Klimaneutralität in den ersten 100 Tagen.
Nach der erfolgten Überarbeitung des Klimaschutzgesetzes und der Verschärfung der Klimaziele braucht die Wirtschaft nun dringend ein umfassendes und konkretes klimapolitisches Maßnahmenprogramm – und zwar für alle Wirtschaftssektoren. Um das Klimaschutzziel für 2030 in den verbleibenden acht Jahren verlässlich zu erreichen, ist es erforderlich, dass die Bundesregierung bereits in den ersten 100 Tagen in Anlehnung an den ganzheitlichen Ansatz des Green Deals der EU-Kommission eine „Umsetzungsoffensive für Klimaneutralität“ vorlegt. Die Maßnahmen darin sollten innerhalb des ersten Jahres auf den Weg gebracht werden, um eine starke Basis für das weitere Handeln zu legen. Die Umsetzungsoffensive muss gewährleisten, dass nun entscheidende Schritte für das Erreichen der Klimaneutralität bis 2045 umgesetzt werden. Die Maßnahmen des Programms sollten unbedingt mit einem Finanzvolumen ausgestattet sein, das insbesondere den Ausbau wichtiger Technologien und Infrastrukturen und die dafür erforderlichen Investitionen in den Sektoren Energie, Industrie, Gebäude und Mobilität ermöglicht und beschleunigt. Auf europäischer Ebene sollte sich die Bundesregierung mit einer klaren Haltung für eine Ausgestaltung des „Fit for 55“-Programms einsetzen, die Unternehmen beim Erreichen der Klimaziele stärkt und zu Investitionen ermutigt.
Wettbewerbsfähigkeit von Klimaschutztechnologien stärken.
Die Technologien für das Erreichen der Klimaziele sind in allen Sektoren weitgehend bekannt. Nun braucht es einen politischen Rahmen, der diese Technologien auf effiziente Weise markt- und wettbewerbsfähig macht. Als Teil ihrer Umsetzungsoffensive muss die neue Bundesregierung eine klimafreundliche Reform des Steuern-, Abgaben- und Umlagensystems auf den Weg bringen, die bestehende Fehlsteuerungen beseitigt. Die CO2-Bepreisung muss als klimapolitisches Leitinstrument in planbaren, auf europäischer und internationaler Ebene abgestimmten Schritten weiterentwickelt und gestärkt werden. Ihre Lenkungswirkung sollte so deutlich erhöht und am Ziel Deutschlands der Klimaneutralität bis 2045 ausgerichtet werden. Die CO2-Bepreisung sollte zudem mit einem wirkungsvollen Maßnahmenmix für die einzelnen Sektoren flankiert werden, so dass klimafreundliche Technologien schnell wettbewerbsfähig werden. Im Gegenzug braucht es gezielte Maßnahmen, die soziale Ausgewogenheit sicherstellen, Carbon und Investment Leakage effektiv vermeiden und Ressourcen für Zukunftsprojekte erhalten und freisetzen. Dazu gehört es unter anderem, Unternehmen und Verbraucher:innen bei den Stromkosten deutlich zu entlasten. Anreize für Investitionen in klimafreundliche Technologien – insbesondere ihre Skalierung – und branchenspezifische Instrumente zur Unterstützung von Unternehmen, die aktiv einen Transformationspfad einschlagen, müssen deutlich ausgebaut und zügig nachhaltig etabliert werden. Die Schaffung von Leitmärkten für nachhaltige und kreislauffähige Produkte muss engagiert vorangetrieben werden.
Ausbau Erneuerbarer Energien beschleunigen, Energieeffizienz steigern.
Erneuerbare Energien sind in Kombination mit Maßnahmen zur Steigerung der Energieeffizienz das Rückgrat der Transformation zur Klimaneutralität in nahezu allen Sektoren. Sie werden zunehmend ein elementarer Standortfaktor für das Industrieland Deutschland. Der Ausbau der Erneuerbaren Energien wie auch der erforderlichen Stromnetze muss deshalb massiv beschleunigt werden. Bis 2030 müssen mindestens 70% des steigenden deutschen Stromverbrauchs durch Erneuerbare Energien gedeckt werden. Die installierte Kapazität von Windkraft an Land und auf See sowie Photovoltaik muss dafür nahezu verdreifacht werden. Damit dies gelingen kann, müssen unbedingt ausreichend Flächen für den Ausbau Erneuerbarer Energien verlässlich zur Verfügung gestellt und bestehende Anlagen nachgerüstet werden. Ein ehrgeiziger Ausbau der Erneuerbaren Energien sollte mit weiteren Maßnahmen kombiniert werden, um gezielt die Voraussetzungen für einen Ausstieg aus der Kohleverstromung deutlich vor 2038 zu schaffen. Dazu gehören vor allem konsequente Maßnahmen für eine erhebliche Steigerung der Energieeffizienz im Gebäudesektor, insbesondere durch eine Erhöhung der Sanierungsrate, für die eine adäquat ausgestaltete Unterstützung der erforderlichen Investitionen notwendig ist. Unternehmen können als Katalysator für die Schaffung eines Erneuerbaren Energiesystems wirken. Dafür müssen die Rahmenbedingungen zur Umsetzung wichtiger technischer Lösungen deutlich attraktiver und einfacher gestaltet werden. Hierzu zählen unter anderem die Eigenerzeugung und -nutzung von Erneuerbarem Strom, die effiziente Erzeugung und Nutzung von Wärme und Kälte auf Basis Erneuerbarer Energien sowie industrieller Abwärme, die Erzeugung und Nutzung von Wasserstoff aus Erneuerbaren Energien und die Umstellung von Unternehmensflotten.
Genehmigung klimafreundlicher Infrastrukturen vereinfachen.
Der Ausbau von Schlüsseltechnologien und Infrastrukturen für das Erreichen der Klimaneutralität darf nicht durch langwierige und umständliche Planungs- und Genehmigungsverfahren ausgebremst werden. Neben Erzeugungskapazitäten für Erneuerbare Energien gilt dies für Stromnetze, die zur Transformation notwendigen Industrieanlagen (unter anderem zur Wasserstofferzeugung auf Basis Erneuerbarer Energien und zur CO2-Abscheidung, -Nutzung und -Speicherung), klimafreundliche Verkehrsinfrastrukturen und die energieeffiziente Gebäudesanierung. Zudem muss der Breitbandausbau beschleunigt werden, um etwa digitale Lösungen zur Optimierung einer nachhaltigen, dezentralen Energieerzeugung zu ermöglichen. Die Umsetzungsoffensive sollte deshalb eine „Kickstart-Initiative“ für eine grundlegende Neuregelung und Vereinfachung von künftigen und laufenden Planungs- und Genehmigungsverfahren beinhalten. Dafür sind Mut und Pragmatismus gefragt: Die Dauer von Genehmigungsverfahren sollte möglichst auf unter ein Jahr begrenzt werden. Einspruchswege und Klageverfahren sollten beschleunigt und die zuständigen Verwaltungseinheiten und Gerichte in die Lage versetzt werden, schnell zu handeln.
Als Vorbild vorangehen.
Der Staat ist der größte Auftraggeber in Deutschland. In der öffentlichen Beschaffung werden pro Jahr etwa 500 Milliarden Euro investiert. Damit verfügt die öffentliche Hand über einen kraftvollen klimapolitischen Hebel, der deutlich stärker als bisher genutzt werden muss, um Leitmärkte für nachhaltige und kreislauffähige Produkte zu schaffen. Die Bundesregierung sollte eine konzertierte Aktion von Bund, Ländern, Kommunen und Wirtschaft starten und Investitionen, Projekte sowie Vergabekriterien der öffentlichen Hand systematisch auf Klimaschutz, Kreislaufwirtschaft und Nachhaltigkeit ausrichten. Öffentliche Finanzmittel müssen verstärkt genutzt werden, um privates Kapital für Investitionen in klimaneutrale Zukunftstechnologien zu mobilisieren. Bei der Finanzierung der Transformation kommt der Finanzwirtschaft eine zentrale Bedeutung zu. Um dieser gerecht zu werden, braucht es zügig eine zielorientierte und praxistaugliche Regulatorik für die deutsche und europäische Finanzbranche.
Internationale Partnerschaften stärken.
Die COP26 in Glasgow und die deutsche G7- Präsidentschaft 2022 müssen genutzt werden, um die transatlantische Zusammenarbeit zu stärken und im Kontext der G20 die Grundlagen für einen Klima-Vorreiter-Club zu verankern, der internationale Standards für ein Paris kompatibles Finanzsystem und klimaneutrale Produkte erarbeitet. Der Klima-Club soll den Klimaschutz und die internationale Wettbewerbsfähigkeit deutscher Unternehmen stärken und somit auch Carbon Leakage vorbeugen. Mit strategischen Partnerschaften zu Schlüsseltechnologien für das Erreichen der Klimaneutralität sollte die Bundesregierung die Wettbewerbsfähigkeit von morgen sichern.
Wir Unternehmen sind bereit, unserer zentralen Rolle beim Klimaschutz gerecht zu werden. Wir rufen die neue Bundesregierung auf, die Transformation zur Klimaneutralität zum zentralen Wirtschaftsprojekt der kommenden Legislaturperiode zu machen. Hierfür bieten wir der kommenden Regierung unsere Unterstützung an.
Leiter Politik & Inhalte
E-Mail: christoph.podewils@klimawirtschaft.org
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