Klimaschutz: Kommt der Atomausstieg zu früh?

Position von Sabine Nallinger, Vorständin der Stiftung KlimaWirtschaft, Februar 2022

Das ist für mich eine Scheindebatte. Sie wird geführt, um nun nachträglich die Versäumnisse beim Ausbau der Erneuerbaren Energien zu kaschieren. Der Atomausstieg war richtig und er bleibt richtig. Die Frage, ob wir mit der Kernkraft schneller aus den fossilen Energien hätten aussteigen können, ist rückwärtsgewandt und stellt sich heute nicht mehr. Und im Übrigen wäre die Antwort: nein, dem Klimaschutz wäre damit nicht geholfen.

Das fängt damit an, dass die ökonomische und ökologische Bilanz der Atomkraft schon immer schöngerechnet wurde, indem man zum Beispiel Entsorgungskosten oder Risiken einfach nicht berücksichtigt. So wie die Schäden bei Großunfällen der Gesellschaft in Rechnung gestellt wurden oder der Atomstrom nur aufgrund massiver Subventionen wirtschaftlich konkurrenzfähig war, so wird auch die Klimabilanz der Kernenergie saubergerechnet. Nimmt man nicht nur die Stromerzeugung, sondern die CO2-Emissionen entlang der gesamten Wertschöpfungskette in den Blick – also vom Uranabbau über die Aufbereitung bis hin zur Entsorgung, dann ist die Kernenergie heute deutlich CO2-intensiver als die Erneuerbaren Energien.

Selbst wenn der politische Wille für die Atomkraft plötzlich da wäre, könnten die bestehenden Anlagen schon aus technischen Gründen nicht weiter in Betrieb gehalten werden. Es müssten also neue Atomkraftwerke her. Stellen Sie sich nur mal die Widerstände und Proteste vor, wenn heute ein AKW als „Ersatzneubau“ aufgebaut werden sollte. Nach dem bahnbrechenden Urteil des Bundesverfassungsgerichts hätte ich auch meine Zweifel, ob eine risikobehaftete Technologie wie die Kernkraft heute noch rechtlich durchsetzbar wäre, auch durch die ungelöste Entsorgungsfrage werden die Freiheitsrechte kommender Generationen ja eingeschränkt.

Für die Bekämpfung der Klimakrise würde die Anlage aufgrund der langen Planungs-und Bauzeiten ohnehin zu spät kommen. Im Ergebnis wären Ressourcen vom Ausbau der Erneuerbaren Energien abgezogen und die Abhängigkeit von der Atomkraft vergrößert worden. Als große und konstant laufende Grundlastanlagen sind Atomkraftwerke auch nur schwer mit einem flexibilisierten Stromsystem zu vereinbaren, das wir für einen hohen Anteil Erneuerbarer Energien benötigen. Denn es ist doch klar: die Zukunft der Energieversorgung muss auf Erneuerbaren Energiequellen beruhen. Diese sind schon heute kostengünstiger, wirtschaftlicher, schneller und natürlich sauberer als fossile oder nukleare Energieträger. Und weil diese Transformation schnell gehen muss, sind wir gut beraten, die vorhandenen Technologien jetzt konsequent auszubauen, statt uns mit Scheindebatten zu beschäftigen, die nicht nur die Versäumnisse von gestern kaschieren, sondern auch eine Ausrede für das Nichtstun von morgen liefern sollen.